Wohnung Oberstadt 1442
Stellungnahme des Architekten Dipl.-Ing. Christopher Schneeweiß
Da es sich um ein bestehendes Gebäude in einer denkmalgeschützten Umgebung handelt, sind die Rahmenbedingungen klar. Die mehrere hundert Jahre alte Stadtmauer bildet einen Teil des Gebäudes und somit der Wohnung. Wie alle anderen Gebäude entlang der Stadtmauer, sind die Gebäude ständig nach innen hin erweitert worden, was die dendrochronologischen Untersuchungen belegen. Dadurch ergeben sich im inneren eindeutige Raumstrukturen, die im Nachhinein nur schwer oder gar nicht veränderbar sind. Eine Besonderheit bei diesem Projekt stellt der eigene Garten dar. Es handelt sich um eine Baulücke, die zur Hälfte den Garten der Wohnung beherbergt. Die andere Hälfte gehört zur darüberliegenden Wohnung. Dadurch ergibt es sich, dass die Wohnung im Erdgeschoss nicht nur einen eigenen Hauseingang hat, sondern auch eine eigene Hausnummer zugewiesen bekommen hat. Dies mag auch daher rühren, dass sich das Gebäude im früher gängigen Stockwerkseigentum befindet.
Der Bestandsbau ist ein beständiges Beispiel vernakulärer Architektur. Vermutlich wurde es von den Bewohnern selbst errichtet und über die Jahrhunderte hinweg immer wieder erweitert. Eingriffe in das äußere Erscheinungsbild sind nicht nur aufgrund des Denkmalschutzes fast unmöglich, sondern sie wären auch ein unsensibler Umgang mit der Substanz. Südseitig ist die Stadtmauer das prägende Element der Fassade. Es ist nur an den Dächern und teilweise an den Fenstern ablesbar, wie sich die Häuser dahinter aufreihen.
Im Inneren fand vermutlich im Anschluss an den zweiten Weltkrieg ein gröberer Umbau statt. Diesen Schluss ließen die alten Täfer, das Badezimmer und andere Einrichtungsgegenstände zu. Der schlechte Zustand dieser jungen Veränderung hat es ermöglicht, die Wohnung in eine Art Rohbauzustand zurückzuversetzen. Zementputz wurde von der Stadtmauer entfernt, die Küche wurde entsorgt und das Badezimmer abgebrochen. Die Fenster, welche vermutlich aus den 1970er-Jahren stammen, wurden lediglich neu gestrichen. Hinter dem entfernten Wandtäfer traten zahlreiche Putzschichten hervor, welche die lange Geschichte des Hauses lesbar machten. Sie wurden nicht abgetragen, sondern durch das Aufrichten einer einfachen Vorsatzschale von äußeren Einwirkungen geschützt, damit die Geschichte auch für spätere Generationen noch lesbar bleibt. Weiters wurde entschieden, die bestehenden Böden bestmöglich zu erhalten. Lediglich ein stark wurmstichiger, teils morscher Teil des Dielenbodens musste erneuert werden.
Am Anfang des Projekts stand auch die Frage, wie die Wohnung zukünftig beheizt werden soll. Eine Gasleitung versorgt die oberen Wohnungen bereits mit Heizenergie. Der Einbau einer Gastherme und die Verlegung von Heizungsleitungen hätte den Budgetrahmen aber bei weitem gesprengt. Hinzu kam auch noch der damals gerade ausgebrochene Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, welcher das Heizen mit Gas noch unattraktiver gemacht hat. Diese Parameter haben zu dem Entschluss geführt, die Wohnung mit Strom zu heizen. Moderne Infrarotpaneele bieten diese Möglichkeit. Der Strommix in Vorarlberg, welcher einen hohen Anteil an erneuerbaren Energieträgern aufweist, ist hier natürlich ein weiterer Vorteil. Ganz beiläufig ist der Eingriff in die bestehende Substanz bei diesem Heizsystem minimal und die Rückbaubarkeit jederzeit gegeben.
Die Planungsarbeit für das Projekt belief sich auf ein Bestandsaufmaß, einen skizzenhaften Entwurf, eine Genehmigungsplanung für das Bundesdenkmalamt und einen Ausführungsplan. Zahlreiche architektonische Entscheidungen wurden von der Bauherrin selbst getroffen. Der Architekt hatte hier vor allem auch bautechnische Aufgaben zu bewältigen. Das außergewöhnliche Gespür der Bauherrin für Farben und Farbkombinationen, hat nicht nur mit der Tomatenroten Kochzeile und dem Bananengelben Abwasch dem Projekt einen besonderen Ausdruck verliehen. Auch im WC (rosa), dem Badezimmer (grün), dem Reduit (hellblau) und dem Eingangsbereich (goldgelb) spielen Farben eine wichtige Rolle. Die Entscheidung der Bauherrin einige der bestehenden Möbel wiederzuverwenden, hat zu einem möglichst ehrlichen Umgang mit der Geschichte des Hauses geführt. Als Besucher spürt man sämtliche Zeitschichten die sich in dieser Wohnung befinden. Trotzdem konnte mit diesen wenigen Eingriffen ein zeitgemäßer und nachhaltiger Wohnraum geschaffen werden. Ganz ohne Energieausweis (welcher für denkmalgeschützte Gebäude ohnehin nicht notwendig ist) oder irgendwelche technischen Helferlein.
Stellungnahme der Bauherrin Brini Fetz
Orte, die eine Geschichte haben an denen vor mir schon etwas passiert ist, faszinieren mich sehr. Als ich die Möglichkeit bekommen habe eine Wohnung in der Bregenzer Oberstadt – der Altstadt und dem wohl schönsten Teil der Stadt – zu übernehmen, war ich sofort begeistert. Die Wohnung war in sehr schlechtem Zustand. Schlecht aufgeteilt, dunkel, etwas uncharmant und es benötigte einiges an Vorstellungsvermögen, sich hier reinzudenken. Schnell stellte sich heraus, dass die Wohnung generalsaniert werden muss. Vor dem Kauf wurde ich darüber unterrichtet, dass das Objekt sowohl außen als auch innen denkmalgeschützt ist; über das Baujahr der Wohnung gab es aber keine Informationen. Umso überraschter war ich als bei den Abbrucharbeiten hinter dem Holztäfer historisch anmutende Steinmauern zum Vorschein gekommen sind. Die vom Denkmalamt hinzugeholten Bauforscher konnten schließlich das Baujahr des ältesten Teiles der Wohnung auf 1442 datieren. Die Außenmauer der Wohnung bildet sogar die Stadtmauer, die im 13. Jahrhundert errichtet wurde. Somit ist der Kern der Wohnung vermutlich eines der ältesten Gebäude in der mittelalterlichen Oberstadt.
Vorsichtig wurden dann alle Wände und Decken von zahlreichen Schichten Material befreit und wo es möglich war (der originale Kalkputz der Steinwände war leider sehr brüchig) so aufbereitet, dass die Holzbalken der Deckenkonstruktion und Teile der Stadtmauer wieder freigelegt wurden. Dabei war es mir wichtig, dass nicht alles das zwischen der ursprünglichen Erbauung und meiner Renovierung bestanden hat einfach ausradiert wird – schließlich gehört auch das, was in den knapp 600 Jahren dazwischen passiert ist zur Geschichte des Gebäudes. So haben wir Böden aus verschiedenen Jahrzehnten vorsichtig abschleifen lassen, alte Türen und Fenster ausgehängt, neu lackiert und wieder eingehängt und auch einige Möbelstücke durften an ihrem gewohnten Platz wieder einziehen. Entstanden ist ein gemütliches, helles Zuhause, das einen schönen Bogen vom Mittelalter in das 21. Jahrhundert spannt.
Der Prozess der Renovierung war alles andere als linear. Alles Spannende und Herausfordernde lag am Tag der Übernahme der Wohnung dick eingepackt unter Lagen von Täfer, Tapete, Linoleum und dickem Verputz. Was genau auf uns zu kommt, war nicht vorhersehbar. Der Architekt Christopher Schneeweiß musste sehr offen planen und auf laufende unerwartete Entdeckungen mit einem hohen Level an Kreativität eingehen. Dabei galt es eine sorgfältige Budgetplanung einzuhalten. Christophers Feingefühl im Umgang mit diesem historischen Ort, sein hoher Anspruch an das Zwischenspiel zwischen Funktion und Ästhetik, und letztlich die ausgezeichnete Koordination mit allen Handwerkern haben hier einen wunderbaren Lebensraum geschaffen, der seiner Geschichte wieder gerecht wird und hoffentlich viele weitere Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, bestehen kann. Ich denke, etwas auf ein weißes Blatt zu zeichnen ist einfach – wilde, lose Stränge zu einem runden Ganzen zusammenzufügen ist eine Kunst, die Christopher tadellos bewiesen hat. Tausend Dank für deinen unermüdlichen Einsatz!
Stellungnahme des Bundesdenkmalamts Landeskonservatorat für Vorarlberg Dipl.-Ing. Steffi Scheil, stellvertretende Leiterin
Die Erdgeschoßwohnung in der Georgenschildstraße 2a in der Bregenzer Oberstadt ist Teil eines dreigeschossigen Wohnhauses aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Gebäude steht unmittelbar an der Straße und grenzt unmittelbar an die romanische Stadtmauer. Seit dem Jahr 1987 befindet sich das Wohnhaus im denkmalgeschützten Ensemble der Bregenzer Oberstadt.
Umbaumaßnahmen sind natürlich auch bei Gebäuden möglich, die unter Denkmalschutz stehen. So konnte nach einem Mieterwechsel durch produktive Zusammenarbeit von Eigentümerin, Architekt, Handwerkern und Bundesdenkmalamt, die relativ kleinteilig gegliederte und dunkle Wohnung in eine moderne, helle Wohnsituation überführt werden.
Eine bauhistorische Untersuchung mit einem Baualterplan war Grundlage der neuen Veränderungen. Es wurde belegt, dass Veränderungen am Gebäude bereits seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts immer wieder stattgefunden haben. Diese Forschungsergebnisse sind dann im Jahr 2022 in die Vorplanung mit eingeflossen. Nur so war es möglich die vorgefundene Baustruktur zu lesen und die für eine Kleinwohnung architektonisch sensiblen Eingriffe vornehmen zu können.
Entstanden sind Räume, deren historisch hochwertige Oberflächen revitalisiert und wieder sichtbar gemacht wurden. Der alte Holzfußboden konnte freigelegt, geschliffen und geölt werden. Wände wurden mit Kalk verputzt. Diffusionsoffene Materialien sorgen für optimale raumklimatische Bedingungen. In den Kellerraum zur Stadtmauer wurde baulich nicht eingegriffen. Noch immer bietet der vorgefundene gestampfte Lehmboden bauphysikalisch den bestmöglichen Bauzustand.
Die Revitalisierung der Erdgeschoßwohnung in der Bregenzer Oberstadt bedeutet, denkmalgerechte Umsetzung eines nachhaltigen Wohnkonzeptes sowie keinen Wohnungsleerstand.
Bauherr/in: Sabrina Fetz
Architektur: Christopher Schneeweiß
Fotografie: Angela Lamprecht, Brini Fetz, Christopher Schneeweiß
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