Volksschule Schwefel
Eine Schule hebt ab
Die inklusive Volksschule Schwefel in Hohenems ist sehr cool. Sie hat einen abgesenkten Turnsaal und schwebende Klassen.
Hohenems hat eine neue, inklusive Volksschule. Die Innsbrucker Architekten Zierl-Tabernig planten das barrierefreie Gebäude. Es ist so übersichtlich, geräumig und hell, dass jedes der 240 Kinder den Ort findet, den es gerade braucht. Das Herz der Schule bildet eine abgesenkte Doppelturnhalle, um die Aula und halböffentliche Zonen angeordnet sind. Über diesem rundum verglasten Sockel schweben die Klassen, die als Lernhäuser organisiert sind. An jedem Eck eines, in der Mitte ein Innenhof.
Hohenems ist eine Gemeinde mit außergewöhnlich hohem Bewusstsein für Baukultur. Das Münchner Büro Lohrer Hochrain gestaltete den Hauptplatz als Begegnungszone mit Brunnen, der achtsam sanierte historische Stadtkern und das ehemalige jüdische Viertel werden gekonnt entwickelt. Alle lieben die hübschen Lokale und Geschäfte, Hohenems ist die Gemeinde mit dem schnellsten Bevölkerungswachstum im Ländle.
Den Neubau der dritten großen Volksschule im Ort nahm man sehr ernst. „Wenn wir eine attraktive Schule neu bauen, dann muss es eine inklusive Schule sein“, sagt Christoph Jagg, der Direktor. Ein quadratisches Grundstück von 100 Meter Seitenlänge schien am geeignetsten. Es liegt im Stadtteil Schwefel, unweit vom Kindergarten zwischen Einfamilienhäusern. Im Nordosten grenzt es an Wohnbauten, im Südosten an eine von Gartenwänden klar abgegrenzte Reihenhausanlage.
2016 schrieb die Gemeinde einen offenen Wettbewerb aus, das Projekt der Innsbrucker Architekten Alois Zierl und Martin Tabernig siegte. Sie organisierten das beachtliche Raumprogramm sehr kompakt rund um eine zentrale Doppelturnhalle. Der 45 Meter breite, 52 Meter lange, zweigeschossige Baukörper nimmt die Flucht der Reihenhausanlage und auch ihre Höhe auf. Dadurch fügt er sich gut in sein Umfeld und ist doch groß genug, um ein Zentrum zu bilden. Die weiße Metallfassade mit den horizontalen Fensterbändern und weißen Sonnensegeln im Obergeschoss sorgt für eine Spur Futurismus.
Ein leichtes Podest gleicht das abfallende Gelände aus, das eine aufwändige Pfahlgründung auf 26 Meter tiefen Bohrpfählen erforderte. Im Nordwesten gibt es einen großen Sportplatz im Freien, weit kragt das Obergeschoss im Südwesten über dem gläsernen Sockel aus. Es schafft der Schule einen gedeckten Vorplatz, der sich bis an den Oberen Stockenweg vorzieht, wo auch der Kindergarten liegt. Ständig spielt wer, auf den Tischen und Bänken unterm Vordach sitzen oft Menschen aus der Nachbarschaft. Nur eine Glasfassade trennt den Außen- vom Innenraum, auch in der Aula stehen Tische. Hier essen die Kinder. Rechts und links die Garderobe, dahinter die Stiegenhäuser, dann reihum die Räume für Hauswart, Direktor, Lehrer, Sonderunterricht.
Das Herz dieser inklusiven Schule bildet die abgesenkte Doppelturnhalle, über deren Luftraum hinweg man das ganze Erdgeschoss überblickt. Auch Externe sporteln hier gern. 30 Meter und 27 Meter überspannt die Decke stützenfrei den Turnsaal. „Wir wollten diese Schule so hell und transparent wie möglich gestalten“, sagt Alois Zierl. „Wo Glas ist, kann die Sonne herein.“
Alle Klassen sind im ersten Stock in Clustern organisiert. „Lernhaus“, sagt Christoph Jagg dazu. Er hat an diesem Nachmittag die Betreuung über. Die Atmosphäre ist ruhig und entspannt. „Was ist für das Kind das beste? Eine Kleinklasse als Stammzelle und Rückzugsort, wo es sich sicher fühlt“, sagt Jagg. „Und dann viele Möglichkeiten für gegenseitiges Miteinander.“ Die Lernhäuser liegen an den Ecken der Schule, so gibt es von zwei Seiten Licht. Jedes besteht aus vier Kleinklassen für etwa 60 Kinder, sowie eigene Räume für Kleingruppen, Kinder mit besonderen Bedürfnissen, Lehrer, Betreuende. Und einer Küche. „Jede Klasse sollte möglichst viel Bezug zum Marktplatz haben“, sagt Zierl. Der große, offene Raum ist durch Glaswände stets präsent. Die Architekten entwarfen eigens Möbel, die sich leicht verschieben lassen. In der Mitte wird das Flachdach der Turnhalle zum geschützten Innenhof. Glasfassade sei Dank, hat man die Kinder, die sich hier übermütig austoben, immer im Blick.
„Es gibt viel Platz und er verteilt sich gut.“, sagt Jagg. „Das schafft einen wohnlichen, familiären Charakter. Für das Lehrpersonal ist das sehr angenehm. Die Türen stehen ständig offen.“ Alle gangseitigen Wände sind aus Glas. „Das erleichtert auch die Inklusion“, sagt die Lehrerin Brigitte Möschel-Berktold. „Das offene Gebäude bietet viele Möglichkeiten. Überrascht hat mich, dass trotz der vielen Sichtflächen die Ablenkung nicht größer ist.“ Kontrollierte Be- und Entlüftung, Akustikdecken, die den Schall schlucken, Fußbodenheizung und mehr schaffen ein angenehmes Raumklima, es gibt viel Holz. „Wir wollten eine Wohlfühlatmosphäre schaffen,“ sagt Zierl. Das ist gelungen. Christoph Jagg: „Man kommt gern in diese Schule.“
Auszug aus dem Juryprotokoll des Architekturwettbewerbs:
Das Siegerprojekt überzeugt durch Transparenz und Offenheit der Architektur und unterstützt die Grundsätze einer Pädagogik mit inklusivem Ansatz. Gleichzeitig werden Möglichkeit zum Rückzug in kleinere Räume oder Lerninseln geboten. Großzügige offene Gestaltung mit Verglasungen unterstreicht den öffentlichen Charakter des pädagogischen Handelns und stellt die Aufforderung zum vernetzten Denken und Arbeiten dar. Die Dachterrasse erweitert das pädagogische Handlungsfeld um einen wertvollen Raum für Bewegung, Ruhezonen, Lerninseln unter freiem Himmel. Dieser Freiraum im OG ist für alle zugänglich und lädt zum Modulübergreifenden Arbeiten ein, Schüler mit und ohne Behinderung, verschiedene Jahrgänge, Mittagsbetreuung,... Schule findet auf einer gemeinsamen Ebene statt, getrennte Auf- und Abgänge entflechten die Schülerströme. Die vier Module sind klar strukturiert, als Einheit erkennbar und trotzdem untereinander frei zugänglich. Ebenerdige Außenräume entsprechen den Anforderungen eines Pausenbereiches bei Trockenheit und Nässe, Sportflächen und Ruhezonen sind genügend vorhanden. Die Überdachung des EG durch das auskragende OG ergibt Beschattung in den Verwaltungs- und Fachräumen, bei gleichzeitigem Angebot von überdachtem Außenraum.
Statement Auftraggeber:
Hohenems ist die am schnellsten wachsende Stadt Vorarlbergs – und auf die Zukunft vorbereitet: Die neue Volksschule ergänzt künftig das bestehende Angebot im Bereich der Bildung und Pädagogik.
Die neue Volksschule im südlichen Stadtteil Schwefel ist ein Schmuckstück zeitgemäßer, an der Umwelt und am Menschen orientierten Architektur geworden. Insgesamt hat die Stadt Hohenems in den vergangenen Jahren rund 35 Millionen in Bildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen investiert. Das Projekt basiert auf einem eigens für diesen Schultyp erarbeiteten pädagogischen Konzept unter Mitwirkung von Landesschulrat, Direktoren und Politik. Der Architekturwettbewerb wurde als nicht offener Realisierungswettbewerb mit EU-weiter Bekanntmachung und Teilnehmerauswahl mit nachfolgendem Verhandlungsverfahren im Oberschwellenbereich für die Vergabe von Architekturplanungsleistungen gemäß dem Bundesvergabegesetz 2006 i.d.g.F. mit der Kooperation der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Tirol und Vorarlberg ausgeschrieben.
Der Abschluss des mehrjährigen Bauprojektes fiel in Zeiten von COVID-19; der unermüdliche Einsatz aller Beteiligten und die Berücksichtigung von Hygienemaßnahmen haben es in den vergangenen Monaten möglich gemacht, die Arbeiten fortzusetzen, im Kostenplan zu bleiben und den Betrieb nun auch wie geplant im September 2020 aufzunehmen.
Pädagogisches Konzept der inklusiven VS Schwefel
An der Volksschule Schwefel werden die Volksschulkinder und die Kinder des ehemaligen Sonderpädagogischen Zentrums in vier Lernhäusern unterrichtet. In jedem Lernhaus gibt es vier unterschiedliche Klassen, Gruppenräume und eine gemeinsame Lernlandschaft. Jedes Kind wird dort individuell begleitet und gefördert. Das Kind mit all seinen Stärken und Schwächen, seinen Fähigkeiten und Interessen steht im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Durch das räumliche Angebot können die Kinder gemeinsam, klassenübergreifend lernen, sich im Bedarfsfall aber auch in die Kleingruppe zurückziehen.
Bürgermeister Dieter Egger freut sich über den erfolgreich abgeschlossenen Prozess:
„Hohenems als stark wachsende Stadt hat jetzt massiv vor allem in die Zukunft unserer jüngsten Bürgerinnen und Bürger investiert. Bildung und Ausbildung ist das A und O eines jedes Lebensweges – mit den nun vorhandenen Kindergärten und Volksschulen sind wir jedenfalls für die kommenden Jahre gerüstet. Die Volksschule Schwefel ist ein architektonisches Glanzlicht und Musterbeispiele für ein ökologisches Bauen, welches die Bedürfnisse der Bevölkerung aufgreift – so ist sie auch ein Meilenstein in der weiteren Entwicklung des jungen Stadtteils Schwefel als Quartier mit hoher Lebensqualität und optimaler Nahversorgung!“
Bauherr/in: Stadt Hohenems
Architektur: Arch. Alois Zierl & Arch. Martin Tabernig
Fotografie: Christian Flatscher
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