Tschitscher Schlössle
Denk- und Rückzugsraum
Seit einem Jahr wurden zwei markante Gebäude auf der schmalen Felskuppe hoch über dem Ill-Durchbruch mit jeder Fahrt von Gisingen nach Feldkirch augenfälliger: das sogenannte „Tschitscher-Schlösschen“, ein vierstöckiger Wohnturm, mit der angrenzenden Kapelle St. Margaretha. Der über 60 Meter hohe Baukran und die fortschreitenden baulichen Maßnahmen ließen die Neugier auf die architektonische Adaption der Gebäude durch Bernhard und Stefan Marte steigen. 2004 erwarben die Architekten die Liegenschaften am Blasenberg auf dem ausgesetzten Felskopf „Kapf“. Was die Lage ebenso wie die Gebäudegrundzüge betrifft, kamen sie somit ihrem Kindheitstraum „irgendwann eine Burg zu besitzen“, sehr nahe. 18 Jahre lang reiften die Überlegungen hinsichtlich der zukünftigen Nutzung der Gebäude, „die 600 Jahre Geschichte atmen“. 1483 wurde die Kapelle erbaut, der Wohnturm 1616 von Hubmeister Paul Tschitscher. Ganz im Sinne des Baudenkmalamtes wurden beide Gebäude aufwendig restauriert und adaptiert. Mit Mai werden diese als Büro und Schaudepot genutzt: „Ein Denk- und Rückzugsraum für Mitarbeiter“, so Bernhard Marte. Der Hauptwirkungsort bleibt im Architekturbüro in der Feldkircher Innenstadt.
Sanierung und Adaption
Neben dem desolaten Zustand der Liegenschaften stellte die Logistik der Bauarbeiten eine enorme Herausforderung dar. Die spezielle Topografie mit unterschiedlichen Ebenen und der nicht befahrbare Zugangsweg erforderten einen hohen Baukran, um Materialien, Baumaschinen und Gerüstelementen vor Ort zu bringen. Das Entfernen des überwuchernden Efeus machte die Gebäude wieder sichtbar. Der Turm mit grünen Läden vor den Sprossenfenstern, die kleine Kapelle und der sanierte Durchgang mit den Zinnen wirken vertraut. Die Außenhaut blieb fast gänzlich erhalten. Der in den 1970er-Jahren angebaute Stiegenhausturm wurde abgebrochen, eine schlichte Sandsteintreppe führt nun zum Eingang des Wohnturms. Steilgiebel und Satteldach des „Schlössles“ wurden mit dunklen Dachziegeln eingedeckt und der erneut aufgebaute geschindelte Dachreiter trägt die alte Glocke. In der innen weiß verputzten (säkularisierten) Kapelle rückt das von Martin Häusle 1955 geschaffene bunte Kirchenfenster in den Fokus. Drei neu erstellte Glasfenster beziehen sich auf sein Werk und geben mittels Linien einzelne Motive wieder.
Weitblickende Ideenschmiede
Ein bauhistorisches Gutachten bestätigte eine gut erhaltene Mauersubstanz, was nicht für die Decken und Balken im Wohnturm galt. „Hier konnte man vom Keller bis zum Dachboden blicken“, erläutert Bernhard Marte. Es folgte eine Gesamtsanierung des Gebäudeinneren mit Deckenaufbau, Erschließung der Geschoße, neuen Fenstern und dem Ausbau des Dachbodens. Jede Ebene besteht aus einem einzigen großen Raum. Rau belassenen Wände bilden den Kontrast zum hochglänzend polierten Betonboden. Die Decken mit eng aneinandergereihten „Balken“ verbinden Altes mit Neuem. Holzbalken, die erhalten werden konnten, gehen nahtlos in Beton über, der in seiner Haptik wiederum an Holz erinnert. Die als dunkle Gänge ausgestalteten Metalltreppen verstärken den Burgcharakter. In den Räumen wirken sie durch ihre markante plane Außenhaut mit den gezackten Durchbrüchen wie Kunstobjekte. Während die Treppen keine Ein- und Ausblicke zulassen, ermöglichen dies zwei raumhoch ausgebaute Fenster in der Belle Etage umso mehr. Das eine mit Blick hinunter zur Schlucht und weit in die Ferne erfordert eine gewisse Schwindelfreiheit. Jenes gegenüber öffnet den Blick hoch zur Villa Tschavoll und in den eigenen Gartenbereich, in dem fünf markante Betonkuben auffallen, die für die Biennale in Venedig geschaffenen worden sind. Zahlreiche Modelle der jahrzehntelangen architektonischen Arbeit von Marte. Marte fanden in einem eigens in den Berghang gesprengten Raum ein Depot. Auf dem „Kapf“ ist alles bereit für neue Gedanken in alten Mauern.
(Monika Kühne)
Nachhaltigkeit in seiner reinsten Form
1483 wurde die Kapelle erbaut, 1616 folgte der für Hubmeister Paul Tschitscher erbaute Wohnturm. Zwei historische Bauten, welche nach über 500 Jahren nichts von ihrer Faszination verloren haben. Über viele Generationen weitergetragen, unterschiedlichst genutzt und am Schluss über viele Jahre verlassen, überdauerten sie die Jahrhunderte. Wir, die auf der langen Zeitschiene dieses wunderbaren Ensembles nur ein paar Jahrzehnte prägen, haben mit Sorgfalt recherchiert, gelernt und ergänzt. Ein paar wenige von uns eingefügte Elemente manifestieren sich als Zeitzeugnisse des Heute und Jetzt. Einzelne, historisch wertvolle Balken scheinen in den abstrahierten Betonbalkendecken ‘eingefroren‘ zu sein - für die Ewigkeit. Röhrenartige Stahltreppen schrauben sich entlang, der nach oben schwächer werdenden Außenmauern, zueinander versetzt bis in den obersten Raum unter dem Steildach. Die feinsprossigen Kastenfenster und die neuen Fensterläden sind den historischen Vorbildern folgend, handwerklich hochwertig umgesetzt. Die Putzfassade wurde behutsam gereinigt und restauriert. Die Ziegeleindeckung ist neu, besteht aber wie das über Jahrhunderte immer wieder reparierte alte Dach aus verschiedenen Ziegelformen.
(Marte.Marte Architekten)
Bauherr/in: Marte.Marte Architekten
Architektur: Marte.Marte Architekten
Fotografie: Paul Ott, Stefan Marte
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