Senferei Lustenau
Projektbeschreibung
Die Entstehungsgeschichte des neuen Firmengebäudes für den Lustenauer Senf hat mehrere Kapitel. Bereits 2018 kamen die Eigentümer direkt auf mich zu und beauftragten mich mit einem Entwurf auf einem Grundstück direkt an der Dornbirner Straße. Die Zufahrtsthematik entpuppte sich als schwierig – diverse Varianten wurden durchgespielt mit keinem wirklich zufriedenstellenden Resultat. Zwischenzeitlich schritt die Entwicklung des angrenzenden Betriebsgebietes „Heitere“ in Lustenau voran und so war 2022 ein Neuanfang auf einem anderen Grundstück möglich. Der behördliche Weg war auch dort wieder intensiv – diverse Gesamtplanungen des Betriebsgebietes waren mitunter noch ausständig. Die Familie Bösch hingegen hatte keine Zeit mehr. Sie mussten im April 24 ihr altes Betriebsgebäude mitten im Lustenauer Siedlungsgebiet räumen.
Im Sommer 2023 konnten die Baumeisterarbeiten endlich durchgeführt werden, der Holzbau kam im Oktober. Die alten Lager wurden mit Senf randvoll gefüllt, damit 3 Monate lang die Vorarlberger Senfversorgung aufrechterhalten werden konnte, während der Betrieb im März, April, Mai 2024 umsiedelte. Im Juni musste der Senf am neuen Standort mit teilweise neuem Maschinenpark wieder fließen. Eine intensive Zeit. Viele „Baustellen“ wurden deshalb etwas hintenangestellt. Das geplante, kleine Senfmuseum soll nun bis Ende März fertiggestellt werden, eine feierliche Eröffnung der neuen Senferei findet anschließend im Frühjahr statt.
Ein langer Weg, den wir mit den GeschäftsführerInnen Stefan, Denise, Felix und Georg Bösch gemeinsam mit viel gegenseitigem Respekt und in gutem Austausch gehen durften. Von Anfang an waren die hohen Ansprüche der Bauleute an ökologisches und nachhaltiges Bauen als Entwurfsvorgabe gesetzt. Sie wollten ein Haus schaffen, das ihrem Senf als ganzheitliches Naturprodukt entspricht – natürlich innerhalb ihrer ökonomischen Möglichkeiten. So ist ein Holzständerbau entstanden, dessen enger, quadratischer Raster taktgebend für das Gebäude und ablesbar ist. Eine weitere Entwurfsidee war, die Senfpflanze selbst auf begrünten, abgesetzten Dächern in Erscheinung treten zu lassen.
Ein großer Wunsch der Bauleute war, dass neben einem Verkaufsraum für eigene und sorgsam ausgewählte, ergänzende Produkte, auch Raum für einen von der Produktion unabhängigen Betriebsrundgang geschaffen werden soll. Das Interesse an der Senfproduktion und am Betrieb ist groß, die Mitarbeiteranzahl eben dessen ist überraschend gering. Die drei operativ tätigen GeschäftsführerInnen Denise, Stefan und Felix schmeißen mit Unterstützung einer Reinigungskraft den ganzen Betrieb selbst. Daher sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass KundInnen sich selbst durch das Gebäude bewegen können und dabei tiefe Einblicke in Lager, Produktion und Firmengeschichte bekommen. Ein Rundweg führt durch das Haus und ist künftig bestückt mit Stationen entwickelt vom Gestaltungsbüro „Super BFG“ in Zusammenarbeit mit dem Designer Robert Rüf zu diversen Themen rund um die Pflanze Senf, die Senfproduktion und die Firmengeschichte. Im Gebäude gibt es deshalb diverse Blickachsen, Öffnungen und Blickverbindungen. Dies kommt nicht nur den BesucherInnen zugute, sondern auch den Bauleuten. Sie sollen trotz der Weitläufigkeit des neuen Gebäudes im Arbeitsalltag miteinander in Kontakt bleiben. Blickverbindungen vom Büro in die Produktion, vom Aufenthaltsbereich in den Verkauf, vom Rundgang in Roh- und Fertigwarenlager sollen möglich sein. Ein für die Öffentlichkeit nicht zugängliches, internes Treppenhaus lässt zudem parallel zu den BesucherInnen kurze Wege zwischen Produktion, Büro, Verkauf und Kommissionierung zu. Sämtliche technische Einrichtungen und Installationen werden sichtbar an Decken und Wänden geführt. Das Gebäude soll sich verändern dürfen, die Technik muss flexibel bleiben. Bewusst wurden Raumreserven geschaffen, die Platz für weitere Generationen und ihre Ideen bieten. Gespart wurde hingegen grundsätzlich bei der überbauten Fläche. Die Wahl eines kostspieligeren Verschubregallagers sparte 6,5 Meter Länge beim Gebäude und damit auch kostbaren Grund und Boden. Zusammengefasst basiert das Gebäude auf nebeneinander laufenden Kreisläufen: die Produktverarbeitung sowie der Rundgang für VerbraucherInnen. Im zentralen Verkaufsraum treffen Endprodukt und KundInnen schließlich aufeinander.
In diesem Verkaufsraum ermöglichen von den ArchitektInnen entwickelte Möbel eine vielfältige Bespielung. Sie dienen als Verkaufstisch, als Präsentationsmöbel, als Tische für eine Senfverkostung, die auch zu einer großen Tafel zusammengeschoben werden können. Zudem findet eine Senftheke Platz im Verkaufsraum, an der KundInnen selbst verschiedene Senfsorten in mitgebrachte oder neu erstandene Gebinde abfüllen können. Dies war schon in der „alten Senfi“ möglich und wurde viel genutzt. Denn LustenauerInnen sind sich absolut sicher – „dar frisch Senf usr Sempfarei schmeckt besser als dear usr Tube.“
Intensivere Verköstigungen sollen zukünftig auch im Bereich der MitarbeiterInnen Küche im Obergeschoss über dem Verkaufsraum liegend stattfinden können. Eine Vollholzküche mit Linoleumoberflächen lädt ebenso zum Verweilen ein wie große, massive Buchentische und Bänke. Hier kochen abwechselnd die Mütter oder Väter (jeglicher Generation) einmal pro Woche für alle zu Mittag, die Belegschaft feiert Geburtstag, es finden Besprechungen und Termine mit KundInnen statt. Die angrenzende Dachterrasse erweitert diesen Aufenthaltsbereich ins Freie, ein mit Pflanzen beranktes Gerüst wird künftig Schatten spenden.
Dieses Rankgerüst taucht auch beim Haupteingang zum Gebäude auf. Es hält den Schriftzug – Lustenauer Senf – in die Höhe, ist gleichzeitig Fahrradständer und eben Rankhilfe für Kletterpflanzen. Das Grün findet am Gebäude also nicht nur als Biodiversitätsdächer und extensive Begrünung unter der Solaranlage am Hauptdach Platz, sondern darf auch als Fassadengrün als lebendiger, sich verändernder Gestalter am Gebäude mitspielen. Das Grünraumkonzept stammt von der Landschaftsplanerin Gudrun Sturn und sieht auch um die Senferei naturnahe, klimafitte Begrünungen vor, die zu den angrenzenden Riedflächen stimmig sind. Im Osten bietet ein offenes Retentionsbecken als Biotop die geforderten Ausgleichslebensräume für die zugeschütteten Riedgräben. Im Westen muss die Vorplatzgestaltung noch etwas warten. Die Vorlastschüttung der neuen Erschließungsstraße des Betriebsgebietes zur Autobahnauffahrt Hohenems liegt teilweise noch auf dem Grund der Senferei.
Generell wurde versucht, mit dem Neubau eine stimmige Kubatur und Architektur für den Standort zu schaffen. Ausgehend vom Quader wurden durch Einschnitte überdachte Außenbereiche für Eingang und Anlieferung geschaffen sowie straßenseitig ein abgesetztes, wahrnehmbares, intensiv begrüntes Dach als Übergang zur Landschaft erzeugt. Zwei unterschiedliche Breiten in der Holzverschalung für die äußere und innere Fassade gliedern diese ebenso fein, wie die großzügigen Öffnungen, die im Takt des Rasters des Gebäudes spielen. Textilscreens in der Farbe „Pfeffer“ vervollständigen das Bild und lassen auch in geschlossenem Zustand gefilterte Ausblicke zu.
Statement Bauleute
Die lange Reise an den neuen Standort begann für uns bereits in der hälfte der 2010er Jahren. Zu dieser Zeit wurde langsam klar, dass die Zeit von Lustenauer Senf im ursprünglichen Betriebsgebäude abläuft. Nach über 100 Jahren Firmengeschichte wurde es Zeit uns nach einer neuen Bleibe umzusehen. Als ersten Schritt konnten wir im Jahr 2017 einen Baugrund von der Gemeinde Lustenau erwerben. Dieser war jedoch mit einigen Schwierigkeiten verbunden – die Bestehende zufahrt war für den LKWVerkehr zu schmal. Leider könnten wir uns trotz größter Bemühungen nicht mit den Nachbarn auf eine entsprechende Änderung der Zufahrt einigen. In der Zwischenzeit konnte aber das Projekt „Betriebsgebiet Heitere“ voranschreiten und es ergab sich die Möglichkeit den Baugrund mit der Gemeinde zu tauschen. Aufgrund der Größe des Grundes wurde uns von der Gemeinde angeboten nur soviel kaufen zu müssen wie tatsächlich für den Bau benötigt wird. Dies hat uns zu Überlegungen angeregt die Größe des Gebäudes und die damit einhergehende Versiegelung zu überdenken. Durch die Wahl eines sog. Verschubregallagers ,bei dem nur immer ein Fahrgang für den Gabelstapler geöffnet ist, konnten wir die Gesamtlänge des Gebäudes um ca. 6,5m verringern. Dies entspricht einer Reduktion von 162,5m² überbauter Fläche (oder ca. 1218m³ Raumvolumen).
Es war für uns von Anfang an klar, dass das Gebäude die Werte für die unser Senf steht wiederspiegeln soll. Der zweite nicht weniger wichtige Grund auf günstigere Bauweisen (Stahlständerbau mit Sandwichpanel) zu verzichten war unser Anspruch an uns selber, einen Beitrag für die Zukunft aller zu leisten, in dem wir in unserem Rahmen so ökologisch bauen wie uns möglich ist.
Somit war klar in welche Richtung die Reise gehen soll. Gemündet hat dies in der wunderbaren Zusammenarbeit mit einer Architektin und Architekten die in ähnlichen Bahnen denken und planen. Ergebnis ist ein heller, luftiger Holzbau mit komplett begrüntem Dach. Teilweise als Intensivbegrünung (Biodiversitätsdach) ausgeführt. Im Bereich der PV-Anlage (Gesamtleistung: 69kWp) als Extensivbegrünung.
Geheizt und gekühlt (freecooling) wird das gesamte Gebäude über die thermisch aktivierten Betonpfähle welche bei der Gründung in den Untergrund gerammt wurden. Abgerundet wird das Gebäude durch eine umfangreiche Grünraumplanung die unter anderem als Ausgleich der verschütteten Entwässerungsgräben dient. So erfüllt die Retentionsmulde nicht nur den geforderten Zweck der Regenwasserrückhaltung, sie bietet durch zusätzliche Tiefe auch ein dauerfeuchtes Biotop für die Riedfauna- und Flora.
Die offene, lichtdurchflutete Architektur ist auch dem Umstand geschuldet, dass es uns ein Anliegen ist dem interessierten Kunden unsere Arbeit zu zeigen. Zu zeigen wie Lebensmittel hergestellt werden und was alles dahinter steckt und das auf eine komplett offene und transparente weise. So ist es möglich den Betrieb unabhängig von der Produktion zu besichtigen und sich einen Eindruck zu verschaffen was unseren Senf (den wir gerne überall dazu geben) eigentlich ausmacht.
Bauherr/in: Lustenauer Senf
Architektur: Julia Kick Architekten
Fotografie: Angela Lamprecht
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