Mittagstisch
Städtebau
In Lustenaus Kirchpark, dem kleinen Einkaufszentrum direkt am zentralen Kirchplatz, liegt im ersten Obergeschoss eine Geschäftsfläche, die von Anfang an sehr schwer zu vermieten war. Zuletzt wurde sie einige Jahre lang von einem Wettbüro genutzt, in dem nicht immer alles ganz mit rechten Dingen zuging. Dem Bürgermeister war es ein Anliegen, diesen Zustand zu ändern. Jürgen Sutterlüty - der Eigentümer - sagte ihm zu, das bestehende Mietverhältnis sofort zu beenden wenn die Gemeinde selbst die Flächen anmieten würde. Die steigende Anfrage an Mittagsbetreuungsplätzen der nahe liegenden Volksschule Kirchdorf ließ die Idee eines Mittagstisches in den Räumen entstehen jedoch mit der Möglichkeit, dass auch eine Mehrfachnutzung durch die Volksschule möglich bleibt. Diese typische Schule aus den Nachkriegsjahren wurde bereits mehrfach ausgebaut und durch naheliegende Exposituren ergänzt. Die letzte davon befindet sich ebenfalls direkt am Kirchplatz in Räumlichkeiten der Post. Es entsteht mehr und mehr ein Schulcampus, der mit diesem neuen Satellit die Kinder, Bildung und das wichtige Thema des gemeinsamen, gesunden Essens mitten in Lustenaus Zentrum bringt.
Architektur
Der langgezogene, große Raum, der an zwei Seiten komplett bodentief verglast ist und an einem Eck stark auskragend auch vom unten liegenden Straßenraum wahrnehmbar ist, sollte in seiner Gesamtheit und Offenheit erhalten bleiben. Wir wollten einen großen Möglichkeitsraum im „Zwiebellook“ schaffen, der durch flexible Unterteilung verschiedene Nutzungen ermöglicht. Ausgehend von einer zentralen Küche lässt sich durch Vorhänge mehr und mehr Raum dazu schalten. Auch ein Abstellraum wird durch Vorhänge abgetrennt, der lange Raum wird so gegliedert und es entstehen Nischen. Die vielen Meter Stoff wirken sich außerdem positiv auf die Raumakustik aus, auf die wegen der großen Glasflächen und den Aufenthalt von vielen Kindern besonderes Augenmerk gelegt wurde. Durch zusätzliche Akustikplatten an der Decke wird der geforderte Wert sogar unterschritten. Bei der ersten Besichtigung fiel ein gelb beschichteter PU Boden auf, der durch den Abbruch einiger Einbauten und durch Abplatzungen ein interessantes Muster bildete. Da für das gesamte Projekt nur ein knappes Budget vorhanden war, wagten wir den Versuch Fehlstellen im Bodenbelag auszuspachteln, einen groben Schliff zu machen, der auch als
Vorbereitung für einen neuen Belag nötig gewesen wäre, und dann zu entscheiden, ob der Boden so belassen und lediglich neu versiegelt wird. Wir wollten dem großen, relativ kühlen Raum ein spielerisches Muster zugrunde legen, das wir in der Patina des bestehenden Belages gefunden haben. So durfte sogar ein kleiner Teil der zwielichtigen Vorgeschichte der Räumlichkeiten bestehen bleiben. Neben Edelstahl in der Küche, Textil für die Vorhänge und dem „gefunden“ Boden sollte im Raum nur noch ein weiteres Element Einzug halten. Das Herzstück der Mittagsbetreuung bilden drei große, lange, massive, geölte Holztische aus Ulme. Der Entwurf für Tisch und Bänke stammt von Georg Bechter. Sie werden von der Tischlerei Martin Bereuter in handwerklicher Präzision produziert. Der Hocker wurde von Martin Bereuter für den Mittagstisch neu dazu entwickelt. Es war uns wichtig das knappe Budget für hochwertige, lokal produzierte Massivholzmöbel anstelle von „abwaschbaren“ Schulmöbel aus dem Katalog zu verwenden. Gleichsam dem Boden dürfen auch die Möbel Patina bekommen. Die Kinder sollen ihr gemeinsames Mittagessen in großen, geselligen Gruppen und mit der haptischen Qualität von massivem Holz als Grundlage dafür erleben können. Die großen Tische können für andere Nutzungen im Raum auf Rollbretter gestellt und zur Seite geschoben werden. Nach ein paar Jahren ist außerdem ein Abschleifen möglich. Eine nachhaltige Nutzung - eventuell auch an einem anderen Ort - ist so möglich. Ostseitig schließt sich eine Dachterrasse an, die beinahe nochmal die Größe des Innenraumes aufweist. Der Boden wurde hier mit einem günstigen, grauen Outdoorteppich ausgelegt. Ein großzügiges Außenwohnzimmer über Lustenaus Zentrum lädt die Kinder dazu ein sich nach dem Mittagessen zu bewegen. Sitzsäcke ermöglichen spielerisches sitzen und liegen in allen möglichen Positionen. Pflanztröge - aus Kostengründen von der Stange - wurden zu Pflanzenrankhilfen erweitert, die vor der großzügigen Verglasung permanent etwas Schatten spenden sollen, da die großen, darüber laufenden Markisen nur bei Anwesenheit verwendet werden können. Die Pflanzen dafür wurden bei einem nahegelegenen Abbruch „recycelt“.
Bauherr/in: Marktgemeinde Lustenau
Architektur: Julia Kick Architekten
Fotografie: Angela Lamprecht
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