Hägi Wendls
Das Leben ist oft sonderbar liebevoll. Es kann einem Aufgaben einfach zuweisen, mit der Absicht, dass wir uns durch diese Anstöße mit Dingen, Hergängen und Beziehungen auseinandersetzen. Bei uns hat diese sonderbar liebevolle Zuweisung zu einer ganz zentralen Erkenntnis geführt: Wir wohnen in einem 550 Jahre alten Haus. Es ist so groß, dass wir uns gedacht haben: Da ist mehr Platz, als nur für uns.
Also lassen wir die Menschen rein und die Kultur auch. Denn Kultur ist Gemeinschaftsgut.
Mit dieser Erkenntnis haben wir angefangen, uns über die Zukunft und Gegenwart des Ortes Hägi Wendls Gedanken zu machen. Wir haben uns in diesem Denken als Fluss einer Erzählung identifiziert, haben versucht unsere Befindlichkeiten hintanzustellen und auf die Hinweise des Gebäudes und seiner langen Geschichte zu hören. Vermutlich ist es deshalb zu dieser Form der Renovierung gekommen. Mit rezyklierten und natürlichen Baustoffen, durch die Mithilfe von Studenten, Freunden und Familie, mit einem Ohr in der Vergangenheit, einem Auge in der Zukunft und den Händen in der Gegenwart: Es gibt eben Aufgaben, die einem zuteil werden. Gemeinschaftlich haben wir sie getragen, damit der Geist dieses Gebäudes und der Vorgenerationen nicht nur gefeiert, sondern ernsthaft weitergetragen wird.
Jetzt machen wir Kultur. In der bereits dritten Saison. Im ehemaligen Heuboden und der Tenne an sich, im vorgesetzten Gastgarten, um die Theke aus alten Dachziegeln, hinten im Garten, drinnen im Stall und draußen im Feld. Denn der Mensch braucht Orte. Als soziales Wesen braucht er die Begegnung wie die Luft zum Atmen. Und weil alles mehr wird, wenn man es teilt, haben wir uns gedacht: Wir teilen Hägi Wendls mit seinen Möglichkeiten, damit ein Ort für Dialog, Freude und Kultur entstehen kann. Ein Ort für die unmittelbare Nachbarschaft, die Region und vielleicht noch viel mehr darüber hinaus. Uns begleitet der großartige Ausspruch von Martin Buber: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung."
Die Baufamilie
Voraussetzungen
Hägi Wendls ist kein Projekt im abgeschlossenen Sinne. Vielmehr geht es hierbei um gelebte Geschichte, ein Hinfühlen an Notwendigkeit und Adaptierung oder ein Umschlagen einer Seite eines sehr, sehr dicken Buches. Die Geschichte des Gebäudes beginnt im späten Mittelalter. Die älteste dendrochronologische Datierung reicht ins Jahr 1458 zurück. Belegte Um- bzw. Anbauten ergaben sich in den Jahren 1694, 1820 und 1941. Seit ungefähr 1810 befindet sich die Liegenschaft in Familienbesitz, im Jahr 2019 überging sie in bereits 8. Generation an Silvia Keckeis.
Städtebau
Das Haus an der Arkenstraße 5 liegt großzügig rückversetzt in einem immernoch landwirtschaftlich genutzten und noch weitgehend ursprünglich gewidmeten Ackerstreifen. In den 50er Jahren als sehr prominentes Gebäude der dörflichen Arkenstraße, zwischen Streuobstwiesen und dem damals gewohnten Baumbestand, hat sich über die Jahre die Nachbarschaft erweitert: Häuser und kleine Straßenzüge bzw. Wege sind dazugekommen. Dennoch hat sich die Landwirtschaft im Umfeld erhalten. Dazu kommt die Achse aus verschiedenen Fahr- und Gehwegen, die den Vorplatz des Hofes zu einer einladenden Gastgartenform ausfalten. Seit etlichen Generationen ist die Sitzbank neben der Haustüre eine Einladung für Spaziergänger, Nachbarn und Bekannte. Vom hauseigenen Vorplatz über die Straße ergibt sich das Potential für eine Art Dorfplatz für das Quartier bzw. die unmittelbare Umgebung. Mit der Bushaltestelle und einem großen Kastanienbaum vis-a-vis faltet sich dieses Potential regelrecht auf. Der Fahrrad-Stich Richtung Frutz tut sein übriges. Durch die unbebauten Felder auf der Südseite erhält sich die prominente Ansicht des Hauses wie eine Zeitreise für das Auge des Betrachters. Die Kubatur und Fenster- bzw. Türöffnungen (bis auf eine Ausnahme ostseitig) sind wie vor dem Umbau erhalten, die Fenster selber nicht ausgetauscht sondern restauriert.
Architektur
Hägi Wendls ist ein Projekt, das ausreichend Zeit hatte, durchdacht und geplant zu werden, bis es den richtigen Weg gefunden hat. Aus der bestehenden Substanz entstanden nicht nur neue Räume, sondern auch neue Architektur, gesellschaftliche Impulse und ein Prozess, der durch den Umbau in Wahrheit gerade erst begonnen hat. Eine der gemeinsamen Erkenntnisse ist, dass es manchmal aus architektonischer Perspektive sinnvoller ist, etwas nicht neu zu bauen, sondern einen Verein zu gründen und daraus eine Bewegung zu starten, um im weitesten Sinne die Lebensqualität nicht nur für die Bewohner, sondern gleich die ganze Kommune zu verbessern.
Die Kubatur des Hauses wurde gänzlich erhalten. Im Inneren hat der alte Schnitt der ursprünglichen Raumaufteilung Inspiration für ein Reduktion geliefert. Alle Maßnahmen, die nicht unbedingt erforderlich waren, wurden nicht umgesetzt. Die Architektur ergab sich organisch, war Teil einer großangelegten Diskussion, einem Auseinandersetzen mit dem Notwendigen. Der Bleistift am Planungspapier war das beste Computerprogramm für diese Arbeit. Handwerker, Studenten, Baufamilie und Architekt haben sich miteinander im Sinne der Idee vorgearbeitet. So haben sich neue Räume erschlossen und eröffnet, in Gedanken sowie in Wirklichkeit. Es konnte in regem Austausch agiert und reagiert werden: Dafür hat sich das Projekt dezidiert Zeit genommen. Planung und Umsetzung wurden nicht in einen festen Zeitplan eingebettet, sodass für neue Herausforderungen immer genug Zeit da war.
Bauherr/in: Silvia Keckeis & Johannes Lampert
Architektur: Martin Mackowitz
Fotografie: Hanno Mackowitz
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