Denkwerkstätte
WEITERNUTZUNG VON BAUBESTAND
Landwirtschaftliche Gebäude stellen mit ihren immer größer werdenden Kubaturen neue Herausforderungen an die Raumplanung und an ihre Nachnutzung. In ihrer ursprünglichen Funktion oftmals nicht mehr gebraucht, prägen Ställe und Scheunen die Kulturlandschaft des Bregenzerwaldes. So auch dieses landwirtschaftliche Gebäude, das einst eines der ersten großen Wirtschaftsgebäude in der Region darstellte und nach der Betriebsauflösung eine Nachnutzung suchte.
QUALITÄT, DIE AUF EWIG WIRKT
Georg Bechter, aufgewachsen auf dem Hof, ist heute Architekt und Designer. Das räumliche Potential des Bestandes sah er als Chance, das ehemalige Wirtschaftsgebäude weiter zu nutzen und seine beiden Arbeitsfelder – ein Architekturbüro und eine Leuchtenfirma mit insgesamt 18 Mitarbeitern – unter einem Dach zusammenzufassen.
Vermeintliche Einschränkungen durch das Bauen im Bestand wurden mit sensibler Gestaltung in erlebbare und nutzbare Räume verwandelt. Die Architektur des Gebäudes schafft es, Offenheit mit spannenden Blickbezügen, aber auch Rückzug durch geschützte Arbeitsbereiche herzustellen und somit dem Nutzer einen unverwechselbaren, teamworkorientierten und wohltuenden Arbeitsplatz zu bieten.
Der unter die Vordachkonstruktion integrierte Wintergarten öffnet sich in die unverbaute Landschaft und wirkt neben seiner Funktion als Kommunikationszone auch als natürlicher Wärmepuffer. Die dem Büro vorgelagerte Zone ist als Erholungs- und gleichzeitig als Verbindungszone gedacht. Dreimal in der Woche kocht hier die „gute Fee“, welche im Wintergarten neben Feigen, Indubanane und sonstigen Südfrüchten auch das wachsende Gemüse betreut.
AUS EINEM KUHSTALL WIRD EIN MODERNER ARBEITSPLATZ
Weiterführen, weiterbauen von Vorhandenem ist ein großer Beitrag zur Nachhaltigkeit und bietet viel Potenzial für unverwechselbare Räume. Die an diesem Ort seit Jahrzehnten gelebte Naturverbundenheit spiegelt sich im Umbau in der Wahl der Materialien sowie auch in der Entwicklung der Räume und ihrer Nachnutzung wieder. So wurden mit größter Sorgfalt die vorgefundenen Strukturen berücksichtigt und in Bedachtnahme dieser weitergebaut.
Wo noch vor vier Jahren die Kühe im Stall standen, werden heute in der Gipsmanufaktur Lichtlösungen in Form gegossen, in der vorherigen Scheune gliedert sich die Bürofläche auf zwei Etagen und lässt noch immer die Offenheit des ehemaligen Raumes spüren. Dort, wo früher die Maschinen unter einem großen Vordach gelagert wurden, findet heute ein Wintergarten mit Begegnungszone, Gemeinschaftsküche und Erschließungsbereich Platz. Und wo bisher die Jauchegrube war, wurde der Bestand für einen Eisspeicher genutzt, der zum Heizen und Kühlen des gesamten Gebäudes verwendet wird.
NATURMATERIALIEN VON BODEN BIS DECKE
Heuboden. Strohmasse. Lehmflächen. Schafwolle. Holzkonstruktion.
Die Materialwahl ist reduziert und naturverbunden. Galt die Scheune die letzten Jahrzehnte als Lager für Heu und Stroh, war es naheliegend, das Gebäude auch mit diesem Material zu dämmen. So wurde das bestehende Riegelwerk mit Strohballen ausgefacht und mit Lehmputz aus der eigenen Baugrube verputzt. Auch der Fußboden ist nichts weiteres als gestampfte ERDE – geschliffen und verfeinert, bis ein „Lehmterrazzo“ entstand. Die Decke im Büro wurde neun Millimeter dick mit österreichischer Schafwolle beplankt und sorgt für eine angenehme Akustik in den Büroräumen.
Mit Stroh, Schafwolle, Lehm und dem Holz aus der Region ist der größte Teil der Baumaterialien ohne weitere Aufbereitung in den natürlichen Kreislauf rückführbar. Dies alles sollte nicht als große Besonderheit des Gebäudes dienen, mehr ist es eine unserem Leben geschuldete Selbstverständlichkeit.
EISSPEICHER: ÖKOLOGISCHE NACHNUTZUNG DES BESTANDES
Der großzügige, sonnenseitige Wintergarten wird nicht nur als Gemeinschaftsgarten, Gemeinschaftsküche und Treffpunkt genutzt, er dient außerdem als Pufferzone zur Temperaturregulierung des Gebäudeinneren. Im Sommer wird er natürlich abgeschattet und kann großzügig geöffnet werden. Im Winter wird die dort vorhandene Wärme für die Innenräume genutzt. Wo bisher die Jauchegrube war, wurde der Bestand für einen Eisspeicher genutzt, der mit Hilfe der Sonnenkollektoren und einer Wärmepumpe zum Heizen und Kühlen des gesamten Gebäudes verwendet wird. Während des Sommers wird die Sonnenenergie im Eisspeicher gespeichert. Sobald Heizbedarf da ist, wird dem flüssigen Wasser im Eisspeicher Wärme entzogen, und gegen Ende des Winters ändert sich der Aggregatzustand von flüssig zu fest. Es entsteht Eis, das im Sommer zum Kühlen genutzt wird. Sobald das Eis am Ende des Sommers wieder zu Wasser wird, beginnt der Kreislauf von Neuem, und über den Sonnenkollektor wird die Wärme für den Winter gespeichert.
Bauherr/in: Georg Bechter
Architektur: Georg Bechter
Fotografie: Adolf Bereuter, Gerhardt Kellermann, Kurt Hoerbst
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